Ausstellungen
Kubin und „Die andere Seite“
Die andere Seite: bis 13.08., Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen Geistesfrische: bis 30.07., Sammlung Prinzhorn, Heidelberg
Alfred Kubins fantastisch-surreale Welten entstanden mit Worten ebenso wie mit dem Zeichenstift: Der österreichische Grafiker illustrierte den einzigen Roman, den er schrieb, auch gleich selbst. „Die andere Seite“ erschien 1909 und gibt gute 100 Jahre später der neuen Ausstellung im Ludwigshafener Wilhelm-Hack-Museum ihren Namen; der erklärende Untertitel „Erzählungen des Unbewussten“ deutet näher auf die Herkunft der hier gezeigten Bildwelten, die irgendwo aus den nicht immer bewusst zugänglichen Bereichen der menschlichen Imagination stammen. In seinem Roman beschrieb Kubin ein fernes Land der Träume – anfangs zumindest, bis die Träume in Alpträume umschlagen und alles zur anderen Seite hin kippt. Seine Fantasie ist reich an Symboliken und greift oft auf Vergangenes zurück, auf die Welt, wie sie einem zu Kinderzeiten erschien. Ein Traum? Eine künstlerische Art, psychische Extremzustände zu beschreiben? Oder ein Sittenbild, an dessen Analyse ein gewisser Herr Freud seine helle Freude gehabt hätte? Spannend kann die Erforschung sein, und wo Spannung ist, liegt immer zugleich auch das Risiko. Die Verbildlichungen der Vorstellungen und Fantasien sind anziehend, weil sie eigene innere Gedankenwelten ansprechen, und genau aus demselben Grunde können sie zuweilen auch unheimlich bis beängstigend wirken.
Inspirationen für andere Künstler hat Kubins Schaffen auf jeden Fall geliefert – bis in die Gegenwart hinein. Das demonstriert die Ausstellung mit herausragenden Positionen der zeitgenössischen Kunst: Arbeiten von Thomas Feuerstein, Dorota Jurczak, Henrique Oliveira, Hans Op de Beeck, Daniel Roth, Markus Schinwald, Chiharu Shiota und Stéphane Thidet fügen sich im Ausstellungsraum des Museums als wundersames Zauberland fantastischer Erzählungen zusammen und schlagen spielend Zeitsprünge zwischen den Bildwelten Kubins und der Gegenwart. Kubin’schen Lithographien mit klingenden Namen wie „Verzaubertes Land“, „Die lachende Sphinx“, „Glockenspuk“ oder „Endstation“ stehen Werke gegenüber wie Thomas Feuersteins Kinoskulptur „Sternenrotz“ mit der faszinierenden Zutatenliste „Glas, phosphoreszierender Schleim, Pumpe, PVC-Rohre, Hörspiel“ oder Stéphane Thidets Installation „Sans titre (Le Refuge)“, einer Schutzhütte, die weniger schützt als der Name verspricht – zumindest nicht vor Nässe, denn es regnet unablässig auf Tisch und Stuhl und Buch. Im Rahmenprogramm zur Ausstellung geht es am Sa, 01.07. (16 Uhr) im Philosophischen Café um die Frage „Phantasie oder Wahn – Wo sind die Grenzen?“; Museumsdirektor René Zechlin diskutiert hier mit dem Chefarzt für Psychiatrie und Psychotherapie D. Jochen Gehrmann und dem Direktor der Sammlung Prinzhorn in Heidelberg; außerdem liest Walter Sittler am Sa, 15.07. (18 Uhr) aus Kubins Roman.
Stichwort Sammlung Prinzhorn: Mit dem Heidelberger Museum für Kunst von Menschen mit psychischen Ausnahme-Erfahrungen besteht eine Kooperation, denn dort wird noch bis Ende Juli die Ausstellung „Geistesfrische – Alfred Kubin und die Sammlung Prinzhorn“ gezeigt, die auf einem Sammlungs-Besuch Kubins und dem daraufhin erstellten Bericht über die dort gewonnenen Eindrücke beruht. Überraschende Parallelen und frappierende Ähnlichkeiten taten sich da auf; die passenden Werke von Kubin wurden eingetauscht gegen Zeichnungen seiner Lieblingskünstler. Im Eingangskabinett wird auch eine Auswahl von Kubins eigenen grafischen Blättern zum Thema gezeigt, u.a. „Der wahnsinnige van Gogh“. Besucher der Ausstellung „Die andere Seite“ erhalten bei Vorlage der Eintrittskarte ermäßigten Eintritt in der Ausstellung „Alfred Kubin und die Sammlung Prinzhorn“ in Heidelberg und umgekehrt. Und mit Museums-Ticket gibt es auch Ermäßigung beim Film- und Diskussionsabend „Mord in der Nervenheilanstalt – die Nationalsozialisten und das unwerte Leben“ im Heidelberger Karlstorkino (Fr, 07.07., 19 Uhr), wo der Film „Nebel im August“ über ein junges Opfer der NS-Ideologie gezeigt wird.