Ausstellungen
Re-Inventing Piet. Mondrian und die Folgen
Wenn diese Ausgabe von „Delta im Quadrat“ erscheint, sind es nur noch wenige Tage bis zur Eröffnung der neuen Mondrian-Ausstellung im Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen. Bis ins neue Jahr hinein kann man dann in das Wirken und den Einfluss eines Menschen eintauchen, der für so viele Kunstschaffende inspirierend war und dessen „Handschrift“ man auch im Alltag an vielen Orten entdeckt, wenn man die Augen offenhält. Was dahintersteckt und was die Ausstellung alles zu bieten hat, erzählt uns René Zechlin im Interview.
Delta im Quadrat, Beate Schittenhelm: Erzählen Sie uns doch mal, wie die Ausstellung zustande gekommen ist und was ihr Kerngedanke ist…
René Zechlin: Die Initialidee hatte das Kunstmuseum Wolfsburg, das ursprünglich nur wegen Leihgaben auf uns zukam. Daraus entwickelte sich schnell eine umfassendere Zusammenarbeit, sodass wir die Ausstellung gemeinsam entwickelten und realisierten. Im Jahr 2022 wäre Piet Mondrian 150 Jahre alt geworden. Diesen runden Geburtstag haben wir zum Anlass genommen, den Einfluss Mondrians auf die Kunst und Kultur des 20. und 21. Jahrhunderts zu beleuchten. Viele kennen seine Kompositionen, die sich durch die Primärfarben Rot, Gelb und Blau sowie durch strenge rechtwinklige schwarze Linien auszeichnen – nicht nur, weil sie zu den Meilensteinen der abstrakten Kunst gehören, sondern auch, weil sie in Form von Kleidern, Kosmetikverpackungen, T-Shirts oder Taschen Einzug in die Populärkultur erhalten haben. Bis heute bezieht sich nicht nur die Bildende Kunst auf den Niederländer, sondern auch Mode und Werbung, Architektur und Design zitieren, variieren, adaptieren und karikieren Mondrians unverwechselbare Bildsprache – und genau diese rund hundertjährige Rezeptionsgeschichte ist das Thema der Ausstellung.
DiQ: Zuerst war sie ja in Wolfsburg zu sehen. Wie aufwändig war es denn, die Schau nun auf Ludwigshafen und die hiesigen Räumlichkeiten anzupassen?
RZ: Da wir die Ausstellung gemeinsam entwickelt und konzipiert haben, haben wir die beiden Ausstellungsorte immer mitgedacht. Nicht zuletzt wegen der unterschiedlichen Architekturen der Häuser wird die Ausstellung in Ludwigshafen jedoch einen anderen Charakter haben. So stellen wir Mondrians Werke in direkten Kontext zu seinen Zeitgenoss*innen, sodass das Umfeld und die gegenseitige Beeinflussung deutlich wird.
DiQ: Stichwort „Neoplastizismus“ bzw. „Neue Gestaltung“ – was versteht man darunter? Können Sie uns auch kurz erklären, wie sich der Stil entwickelt hat und welche Personen sich Mondrian anschlossen?
RZ: Als „Neoplastizismus“ beziehungsweise als „Neue Gestaltung“ bezeichnete Piet Mondrian sein künstlerisches Konzept, das sich durch eine starke Reduzierung der künstlerischen Bildsprache auf Farbe und Geometrie auszeichnet. Das von ihm formulierte neoplastizistische Ideal konzentriert sich sogar nur auf die schwarze Horizontale und Vertikale – eine Diagonale lehnte er beispielsweise ab – und auf die Primärfarben Rot, Blau und Gelb. Dieses Konzept schuf Mondrian jedoch nicht spontan und alleine. Es entwickelte sich über Jahre und in Auseinandersetzung mit anderen Künstlerkolleginnen. So gründete er bereits 1917 mit Bart van der Leck, Theo van Doesburg und anderen die Künstlergruppe „De Stijl“, die sich alle mit ähnlichen Ideen und Zielen beschäftigten.
DiQ: Ich frage mal ganz naiv: Was steckt „hinter“ den Bildern mit den schwarzen Linien und den farbigen Flächen, bzw. was liegt jenseits der geometrischen Ordnung und ihrem ästhetischen Reiz? Und wie kann man sich diese dahinterliegenden Dimensionen erschließen, wenn man vielleicht keinen spontanen Zugang zu abstrakter Kunst hat?
RZ: Für Piet Mondrian und die Künstler*innen in seinem Umfeld war Kunst nicht eine Form, die Welt abzubilden, zu interpretieren oder zu illustrieren. Kunst sollte selbst konstruieren und die Welt neu gestalten. Das gestalterische Konzept beschränkte sich dabei nicht nur auf Malerei, sondern das gesamte Lebensumfeld mit Architektur, Design oder Mode sollte verbessert werden. Die Verbesserung der Welt durch die neue Gestaltung sollte schließlich auch den Menschen verbessern. Ganz unabhängig von diesem universellen, quasi-religiösen Anspruch von Piet Mondrian hat sich sein Konzept als künstlerische „Marke“ doch soweit durchgesetzt, dass es in Pop- und Alltagskultur immer wieder aufgriffen wird: Von der Kaffeetasse bis zur Unterhose, alles ist bereits im Mondrian-Look gestaltet worden.
DiQ: Was schätzen Sie: Wieviel Prozent der Ausstellung ist „Mondrian“, wieviel Prozent sind „die Folgen“?
RZ: Es gibt nur wenige Museen, die Werke von Mondrian besitzen und die Versicherungswerte der Originale sind astronomisch. So freuen wir uns, dass wir dennoch die Werke aus dem Wilhelm-Hack-Museum mit Werken von Mondrian aus Den Haag, Krefeld oder Stuttgart ergänzen können. Einen wichtigen Teil in der Ausstellung machen die Werke der Zeitgenossen aus, die zur selben Zeit entstanden sind und in der Qualität denen von Mondrian in nichts nachstehen. In der anderen Hälfte zeigt die Ausstellung die zahlreichen und vielfältigen Adaptionen, die das Werk Mondrians im Laufe des 20. Jahrhunderts erfahren hat.
DiQ: Und was sind diese Folgen und Adaptionen im Detail?
RZ: Piet Mondrian ist der meistzitierte Künstler des 20. Jahrhunderts. Die Zitate und Varianten beschränken sich jedoch längst nicht auf den Bereich der Bildenden Kunst: Yves Saint Laurent griff bereits 1965 den Neoplastizismus auf und präsentierte eine ganze Mode-Kollektion im „Mondrian-Stil“. Heute ist Mondrian ein Pop-Phänomen, jeder kennt diese Art der Gestaltung, auch wenn man vielleicht gar nicht weiß, dass sie von Mondrian ist. Die Ausstellung kann aber nur vereinzelte exemplarische Positionen aus Kunst, Architektur, Design und Popkultur herausgreifen.
DiQ: Heute wundert sich keiner mehr darüber, dass Kunst auch auf den banalsten Alltagsgegenständen zu finden ist. War das früher anders?
RZ: Das Phänomen hat wohl weniger mit Kunst zu tun als mit der produzierten Massenware, für die es immer wieder neue Motive benötigt. Und beliebte Motive der Kunst dann auf Tassen, Bettdecken oder Socken zu übertragen ist manchmal kurios, aber doch auch naheliegend. Bei Mondrian handelt sich aber nicht einfach um ein Kunstwerk, das übertragen wird – es ist vielmehr eine Gestaltungsidee, ein Design, das heute immer noch funktioniert, wenn man zum Beispiel an L’Oréal denkt.
DiQ: Welche sind die neuesten Exponate in der Ausstellung und welche Künstlerinnen und Künstler von heute sind vertreten?
RZ: Das jüngste Kunstwerk der Ausstellung wurde erst dieses Jahr fertiggestellt und stammt von Kathryn Sowinski. Auch Arbeiten von Magnus von Stetten, Sebastian Winkler, Remy Jungerman, Joachim Grommek und Gregor Hildebrandt stammen aus den letzten drei Jahren. Diese zählen definitiv zu den aktuellen Zeitgenoss*innen, doch auch Personen wie Simon Freund, Melissa Gordon, Iván Argote, Simon Mullan, Thomas Moor oder Shin Bongchull sowie die Designerin Amber Ambrose Aurèle sind erst in den 80er bzw. 90er Jahren geboren.
DiQ: Und wo beginnt die Ausstellung? Noch in den frühen Zeiten, als Mondrians Bilder konkrete Motive zeigten, bevor sie sich dann immer stärker ins Abstrakte wandelten? Oder erst mit den Werken, die man heute mit dem Namen „Mondrian“ verknüpft?
RZ: Mit dem Frühwerk bis zum Neoplastizismus hatten sich letztes Jahr Ausstellungen in Basel und Düsseldorf auseinandergesetzt. Unsere Ausstellung knüpft genau daran an und beginnt mit dem Mondrian, wie man ihn scheinbar kennt. Dass es da bei genauer Betrachtung doch viele Unterschiede gibt, wird die Ausstellung zeigen.
DiQ: Piet Mondrian ist ja einer jener Künstler, dessen (späte) Bilder als typische Reaktion ein „Also das könnte ich auch!“ hervorrufen. Was ist da dran?
RZ: Das ist ja das Paradoxe an der Rezeption von Mondrian, dass diese Kunst einerseits als zu elitär oder zu einfach abgelehnt wird, gleichzeitig aber zu einem popkulturellen Massenphänomen geworden ist, das jeder kennt und wohl auch mag. Genau darüber wird Wolfgang Ullrich am 16. November einen Vortrag halten.
DiQ: Wer sich selbst daran probieren will, findet doch sicher auch im Begleitprogramm zur Ausstellung passende Angebote, oder?
RZ: Neben dem bereits erwähnten Vortrag gibt es auch Filmabende, eine Art Lounge oder einen interaktiven Mitmachraum in dem alle Interessierten mit farbigen Klebestreifen Mondrian-artige Strukturen an Wand und Boden kleben können. Wer sich Mondrians Gestaltungsweise gerne körperlich nähert wird sich in unserem Boogie-Woogie-Workshop wohlfühlen, denn Mondrian war nicht nur Maler, sondern auch ein großer Swing- und Boogie-Woogie-Tanzfreund.