Bühne
Die Tanzbiennale Heidelberg
Zum vierten Mal findet – hoffentlich, muss man in diesen Zeiten ja immer dazusagen! – im Frühjahr 2021 die Tanzbiennale in Heidelberg statt. Neun Tage lang, vom 05. bis 13. Februar 2021, kann das Publikum hier den zeitgenössischen Tanz in vielen Facetten erleben. Kuratiert wird das Festival von einem neuen Leitungsteam, bestehend aus Iván Pérez, Holger Schultze sowie Jai Gonzales und Bernhard Fauser; es zeigt herausragende internationale Gastspiele, bietet mit der die Baden-Württemberg-Gala einen Einblick in die regionale Szene, und wie immer soll auch dem Publikum ein vielfältiges Angebot zum Mitmachen gegeben werden. Wir sprachen mit Jai Gonzales vom UnterwegsTheater und Iván Pérez vom Theater Heidelberg.
Delta im Quadrat, Beate Schittenhelm: Welche Personen stehen hinter der vierten Auflage der Tanzbiennale in Heidelberg?
Jai Gonzales: Viele stehen heute dahinter und hier zu nennen sind die, die von Anfang an dafürstanden: die Verantwortlichen im Theater und Orchester Heidelberg und im UnterwegsTheater, die die TANZallianz 2013 auf den Weg gebracht haben. Dazu die Förderer in Gemeinderat und Verwaltung der Stadt Heidelberg sowie im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, die diese einmalige Allianz unterstützt und damit die Entstehung der ersten Tanzbiennale und des Choreographischen Centrums ermöglicht haben. Aber es sind der Applaus und die Tausenden von BesucherInnen, die unsere Spielstätten füllen und diesem Ereignis die besondere Wertschätzung geben!
Iván Pérez: Das denke ich auch. Es müssten eigentlich noch viel mehr Menschen genannt werden und ich fürchte, dafür würde der Platz auf der Seite gar nicht ausreichen! Da ist das Mangement, der technische Direktor, die Dramaturgie und das PR-Team des Theaters; da sind meine sehr geschätzten Kolleginnen und Kollegen vom Dance Theatre Heidelberg und natürlich die Tänzerinnen und Tänzer von dort, die als Models für die Festival-Kampagne auftraten, aber auch als Scouts agieren, die die eingeladenen Künstler durch Heidelberg und die einzelnen Spielstätten führen. Die Zeiten sind unsicher, aber das konnte uns nicht aufhalten. Der Tanz ist eine kreative Kunstform, die uns alle zusammenbringt!
DiQ: Ein festes Tanz-Ensemble, das Dance Theatre Heidelberg, und eine Institution der freien Szene, das UnterwegsTheater, treffen sich in der erwähnten „TANZallianz“. Wie läuft da die Zusammenarbeit und welche Erfahrungen sind in die eine oder die andere Richtung besonders bereichernd?
Jai: Die Ensembles beider Häuser, „feste“ oder „freie“, begegnen sich und teilen ihre Qualitäten auf der Bühne. All die bisher in den vergangenen drei Tanzbiennalen gemeinsam gesammelten Erfahrungen sind die Basis, die die diesjährige „Krisenausgabe“ zu konsolidieren hilft. Die TANZallianz ist die Begegnung und der Dialog, der unsere „Tanzsichten“ einander näherbringt. „Mut entscheidet“ – das ist für mich der Satz des Augenblicks. Die künstlerische Leitung der Tanzbiennale 2021, Holger Schultze, Bernhard Fauser, Iván Pérez und ich arbeiten vertrauens- und hingebungsvoll gemeinsam an der verantwortungsvollen Aufgabe, auch in diesen ungewissen Zeiten eine ganz besondere Tanzbiennale zu verwirklichen. Die Tanzbiennale wächst, verstärkt und verfeinert so stets ihre Zukunftsausrichtung.
Iván: Die Zusammenarbeit zwischen dem UnterwegsTheater und dem Theater und Orchester Heidelberg, wie sie in der TANZalianz umgesetzt wird, öffnet einen Raum für einen spannenden Dialog zwischen zwei Institutionen. Sie fördert aber auch im großem Stil die Entwicklung der Tanzkunst selbst, denn mit dem Residenzprogramm des Choreographischen Centrums, das in den letzten Jahren aufgrund der internationalen und lokalen Nachfrage gewachsen ist, wird auch die Neukreation von Stücken angeregt. Das internationale Programm der Tanzbiennale verkörpert die Koexistenz verschiedener Perspektiven, die alle in einen einzigen Blickpunkt münden. Wir unterstützen diese Partnerschaft absolut, den wir glauben fest an ihre Zukunft und das große Potenzial für Heidelberg, für die regionale, die nationale und die international Tanzszene. Die Zusammenarbeit hat mir gezeigt, dass wir gemeinsam wachsen und immer besser werden können!
DiQ: Gibt es denn jetzt schon eine Vorschau aufs Programm im Februar?
Iván: Sicher! Wir können schon von ein paar der internationalen Compagnien, Tänzerinnen und Tänzern erzählen, die nach Heidelberg kommen. An erster Stelle, als Deutschlandpremiere und Festivaleröffnung, wäre die spanische Choreografin Marina Mascarell zu nennen, die „Second Landscape“ mit dem Skånes Dansteater aus dem schwedischen Malmö zeigt. Das Stück untersucht unser Konzept von Bildern und lässt die Grenzen zwischen der digitalen und der realen Welt verschwimmen. Die italienische Choreografin Silvia Gribaudi kommt mit „Graces“, einer preisgekrönten Produktion, die ebenfalls als Deutschlandpremiere aufgeführt wird. Gribaudi befasst sich schon seit Jahren mit Geschlechtsstereotypien, mit männlicher und weiblicher Identität und dem Konzept der Virtuosität – und sie hat keine Scheu vor humorvollen Umsetzungen! Jérôme Bel, ein Choreograf von internationalem Ruhm, teilt sein neuestes Stück mit uns, „Isadora Duncan“. Es ist Teil seiner Reihe zu Biografien und feiert die Rolle von Frauen im Tanz zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Für mich ein weiteres Highlight im Programm ist „My Heart Goes Boom“, das der italienische Choreograf Daniele Ninarello mit „Dance Well“ umgesetzt hat, einer Gruppe von TänzerInnen mit und ohne Parkinson, die unsere Hoffnung nach Liebe neu definieren. Es wird auch ein Programm fürs junge Publikum geben, zum Beispiel mit Regina Rossi, einer brasilianischen Choreografin, die in Hamburg tätig ist und ihr Stück „Schlagsahne“ mitbringt.
Jai: Wenn sich die Grenzen unserer Wahrnehmung dessen auflösen, „was Tanz ist“, dann öffnet sich eine Welt unendlicher Körpersprachen. „Dodai“ bringt zum Beispiel einen zarten Zauber jenseits von Körperlichkeit auf die Bühne. Israel Galván bringt uns den Flamenco im Spannungsfeld zwischen antiker Kultur und zeitgenössischem Erfindungsreichtum näher. In „Extended Limits/Extreme Bodies“ zeigen vier KünstlerInnen ihren Umgang mit virtuosen und poetischen Körpersprachen, und das weltweit gefeierte französische Werk „May B“ von Maguy Marin nimmt uns mit zu den sonst unbemerkten und unauffälligen menschlichen Momenten, in denen Stille und Warten einen Raum voller Zögern schaffen.
DiQ: Was darf man sich unter der „Baden-Württemberg-Gala“ vorstellen?
Iván: Die Baden-Württemberg-Gala ist zugleich ein Treffen, um sich auszutauschen, und auch eine hervorragende Gelegenheit, um die Vielseitigkeit der Tanzcompagnien in der Region vorzustellen. Es kommt nur selten vor, dass verschiedene Gruppen die Zeit finden, um ihre Arbeiten miteinander und mit dem Publikum zu teilen. Compagnien wie beispielsweise das Nationaltheater Mannheim Tanz, das Staatsballett Karlsruhe, Gauthier Dance aus Stuttgart, das Ballett des Theaters Pforzheim oder das Tanztheater Ulm präsentieren sich an einem gemeinsamen Abend. Wieder einmal bieten dann der Marguerre-Saal des Theaters Heidelberg und die HebelHalle des UnterwegsTheaters die Gelegenheit, all die Talente zu sehen und zu feiern, die in der Tanzszene des Landes zu finden sind!
Jai: Wie immer ist die Gala Treffpunkt, Fest und das Schmuckstück der Tanzbiennale. Sie ist ein wichtiger Teil in diesem großen Tanz-Mosaik und wird, zwei Spielorte verbindend, der feierliche Raum für sieben ChoreografInnen und deren Ensembles sein. Zugleich ist die Gala ein wichtiges „Schaufenster“ aktueller choreografischer Handschriften. Für die Zukunft wünschen wir uns eine auf mehrere Spielorte mit viel mehr Gästen expandierte Plattform und die Verwirklichung des Konzeptes TANZ SÜD, das bereits 2016 im Rahmen der Tanzbiennale vorgestellt wurde.
DiQ: Die Devise der Tanzbiennale lautet: „every body can dance!“. Gleichzeitig sagen so viele Menschen über sich selbst, dass sie nicht tanzen können. Kurz und knapp: Wer hat Recht?
Iván: Das ist eine gute Frage! Ich glaube ja, die Antwort darauf ist ganz einfach: Wir alle tanzen jeden Tag unseres Lebens, vielleicht aber, ohne es überhaupt zu bemerken. Der Tanz versteckt sich in jeder Geste, mit der wir das Gesagte begleiten; er zeigt sich in der Art und Weise, wie wir auf Musik und den Raum um uns herum reagieren. Wenn wir eine gute Nachricht hören und unsere Freude durch Lachen ausdrücken, oder wenn wir uns zuhause anziehen, Kleidungsstück um Kleidungsstück. Für mich ist all das Tanz – und noch viel mehr. Wir alle kennen den Tanz des Blickkontakts, und im Moment erleben wir täglich die Choreografie des „Social Distancing“ im Alltag. Gezwungenermaßen sind wir damit alle zu zeitgenössischen Tänzerinnen und Tänzern geworden, wir achten jetzt immer auf den Raum und die Abstände.
Jai: Ich finde: Klar, tanzen kann jede und jeder, es ist in uns allen und bringt Wohlbefinden! Wenn es darum geht, öffentlich mehr auszudrücken, dann handelt es sich um die bewusste Bewegung auf der Bühne. Das ist Sache derer, die aus dem Tanz ihren Beruf und aus der Berufung ihren Lebensweg gemacht haben. Beides ist richtig und wichtig – „un lugar para cada cosa y cada cosa en su lugar“, wie man auf Spanisch sagt, „ein Platz für alles und alles an seinem Platz“…
DiQ: In welchen Formen kann das Publikum selbst aktiv werden, sei’s im Austausch mit den Künstlerinnen und Künstlern auf der Bühne, sei’s im eigenen Ausprobieren?
Iván: Das Festival umfasst auch Diskussionsveranstaltungen, Talks, Filmscreenings, Workshops und andere Begleitveranstaltungen, in denen sich das Publikum an den Gesprächen beteiligen und aktiv werden kann. Für uns ist es sehr wichtig, den Dialog zwischen den KünstlerInnen und dem Publikum anzuregen, denn dadurch wird der Tanz besser zugänglich und lässt sich für alle Seiten noch mehr genießen!
Jai: Austausch UND Ausprobieren! Dafür gibt es das Workshop-Programm, das an fast allen Festivaltagen stattfinden wird. Aktiv werden geht immer! Wirklich alle sind eingeladen zu kommen und die Begegnungen und Gespräche zu genießen, Entdeckungen, Sehnsüchte und Wünsche zu teilen. Denn „Tanzen ist wie wollen, nur krasser“.
DiQ: Iván und Jai, danke für das Gespräch – wir drücken die Daumen, dass alles so laufen darf wie geplant!