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Bühne

„ein körper für jetzt und heute“ – Jessica Weisskirchen im Interview

„ein körper für jetzt und heute“ – Jessica Weisskirchen im Interview

Jessica Weisskirchens erste Regiearbeit am Nationaltheater Mannheim, „Die Tonight, Live Forever oder Das Prinzip Nosferatu“, ein Monolog basierend auf einem Text der Hausautorin Sivan Ben Yishai, feierte am 20. September Premiere und steht auch Anfang im November noch einmal auf dem Spielplan. Nun folgt mit „ein körper für jetzt und heute“ das zweite Stück, in dem sie Regie führt und sich mit den Konzepten vom Mannsein und Frausein und Noch-viel-mehr-Sein beschäftigt, mit Dichotomien, die überwunden werden wollen und mit einer vermeintlichen Ordnung, die Orientierung bieten will, aber für viele doch eher einem Gefängnis gleicht. Premiere ist hierfür am 27. November.

Delta im Quadrat, Beate Schittenhelm: Frau Weisskirchen, erzählen Sie uns doch kurz, wie Sie zuerst zum Theater im Allgemeinen und jetzt ganz speziell ans Nationaltheater Mannheim gekommen sind!

Jessica Weisskirchen: Das ist eine meiner Lieblingsfragen: Ich bin eigentlich Umwelt-Geo-Chemikerin, also das habe ich zumindest studiert und auch mit Bachelor abgeschlossen. Danach wollte ich einen Master draufsetzen und um die Zeit bis zum Studienstart zu überbrücken, habe ich mich als Regiehospitantin für eine Schauspielproduktion in der Regie von Johann Kresnik am Theater Heidelberg beworben. Mein Vater war in den 80ern Tänzer in der Dance-Company von Kresnik und ich wollte mir mal ansehen, wie das so im Theater abläuft. Danach kam ich ans Theater wie die Jungfrau zum Kinde: Von 2013 bis 2016 arbeitete ich als Regieassistentin am Theater Heidelberg, danach folgten zwei Jahre als Regisseurin in der Freien Szene. Meinen Platz hatte ich da für mich aber noch nicht gefunden, es zog mich an ein größeres Haus, um mich weiter ausbilden zu lassen, und so ergab sich die einzigartige Möglichkeit, mit einem jungen Schauspiel-Team einen Neuanfang zu wagen – so kam ich ans NTM.

DiQ: Um was geht es inhaltlich in Ihrem neuen Stück „ein körper für jetzt und heute“?

JW: Das Stück thematisiert die gesellschaftliche Stigmatisierung eines jeden von uns ab dem Moment, in dem wir in diese Welt geboren werden. Geschützt im Mutter-Körper sind wir noch sicher vor Bewertung, Klassifikationen und der eigenen Zuordnung in das allmächtige System der Weltordnung. Ihr liegt die Kategorisierung von allem und jedem bis ins kleinste Detail zugrunde. Aber dieses System ist verwundbar durch eben jene Systemsprenger*innen, die sich einer normativen, binären Einordung entziehen. Elija ist ein solches „gesellschaftliches Gefahrengut“, weil er in seinem revolutionären Köperverständnis kein Geschlecht bevorzugt, weder für seinen eigenen Körper noch für seine Sexualität. „ich kann beide geschlechterrollen übernehmen“, sagt Elija von sich selbst. Auf seiner Reise aus seinem Heimatdorf, in dem ein konservatives Weltbild herrscht, und weg von seinen Eltern, die ihn durch religiöse Riten zu heilen versuchen, bis in die Stadt der Möglichkeiten, hinein in eine Untergrund-Community, in der jeder alles sein kann und darf – sogar ein Tier-Obst-Mensch-Hybrid –, entscheidet sich Elija mit Hilfe seiner Life-Manager und Freunde – Mela, Fanis und Professorin Eva Reisser – für einen neuen Körper, einen grenzenlosen Körper, einen reinen Köper, der die Grenzen der Geschlechter verwischt.

DiQ: An wen richtet sich denn dann das Stück? Alles rund um die eigene Geschlechtsidentität, ums Frausein oder Mannsein und um die Frage, wen ich liebe, ist ja für Heranwachsende ganz besonders zentral…

JW: Hierzu ein kleines Bild: Dieses Stück richtet sich an alle Körper, die sich jemals an einem sonnigen Tag am Pool aufgrund ihres Aussehens unwohl in ihrer Haut gefühlt haben. Was bedeutet dieses „Frau- oder Mannsein“? Oder noch besser, was bedeutet „sein“? Es richtet sich an alle, die ihren eigenen Körper in einer Welt behaupten müssen, von der sie sich in ihrer Körperlichkeit limitiert fühlen. Unsere Kultur ist es, die uns zu eindeutig weiblichen oder männlichen Wesen machen will und uns vorschreibt, wen wir lieben dürfen und wen nicht. Unsere Gesellschaft entscheidet, ob unsere Körper hässlich, schön, anders oder passend sind. Und es richtet sich an alle, die den gemeinsamen Traum hegen, in ihrem Körper frei zu sein.

DiQ: Diese Premiere ist Ihre zweite Inszenierung in Mannheim – gestaltet sich die Arbeit da schon anders als beim „Erstling“?

JW: Für mich ist Theater Teamarbeit. Auch innerhalb meiner Produktionen lege ich sehr viel Wert auf ein gemeinschaftliches Arbeiten, ich sehe meine Aufgabe im Channeln und Koordinieren der Ideen aller Mitwirkenden. Das hier wird meine bisher umfangreichste Arbeit und ich habe ein tolles Team bestehend aus Günter Lemke (Ausstattung), Michael Bronczkowski (Choreographie) und Lena Wontorra (Dramaturgie). Wir haben in den letzten Monaten ein facettenreiches Konzept ausgeklügelt und sind gespannt und voller Vorfreude darauf, unsere Idee gemeinsam mit dem Schauspiel-Ensemble zur Wirklichkeit zu machen.

DiQ: Wie eng haben Sie bei der Inszenierung mit dem Autor Mehdi Moradpour zusammengearbeitet?

JW: Schon nach dem ersten Lesen war für mich klar, dass ich diesen Text auf die Bühne bringen will. Nachdem das NTM grünes Licht gegeben hatte, habe ich Mehdi direkt angerufen. Wir kannten uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht und haben trotzdem knapp zwei Stunden telefoniert und über seinen Text gefachsimpelt. Es ist ein Privileg, eng mit dem Autor zusammenarbeiten zu können. „Körper“ ist ein stark assoziativer Text und es tut gut, sich bei der Interpretation auszutauschen.

DiQ: Und was steht als Nächstes auf der Agenda?

JW: „ein körper für jetzt und heute“ wird meine dritte Premiere 2020 sein. Für Januar 2021 ist die Premiere von „Out Cry“ (Tennessee Williams) im Theater Felina-Areal Mannheim geplant, die Corona-bedingt leider verschoben werden musste. Danach werde ich mich meinem neu begonnenen Masterstudium Theater und Orchestermanagement an der HfMDK in Frankfurt am Main widmen und mit den Kolleginnen und Kollegen des Assistierenden-Netzwerks weiter an einer strukturellen Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Assistierende an deutschen Theatern arbeiten. Außerdem freue ich mich sehr auf die Umsetzung des von mir ins Leben gerufenen Theaterassistierenden-Festivals SUMMER UP, das im Frühjahr 2021 zum siebten Mal stattfinden wird.

 
 

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