Leben im Delta
72. Internationales Filmfestival Mannheim-Heidelberg
Das Kino im Fokus – dieses Versprechen will das Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg, kurz: IFFMH, auch 2023 wieder einlösen. In seiner 72. Auflage zeigt es zwischen dem 16. und 26.11. eine Vielzahl an Filmen aus allen Ecken der Welt; auch ein Wettbewerb sowie das Kinderfilmfest gehören fest dazu. Gespielt wird in diversen Kinos in Mannheim und Heidelberg, Festival-Lounges entstehen im Stadthaus Mannheim und im Heidelberger Karlstorbahnhof. An oberster Stelle verantwortlich für all dies ist der Festivalleiter Sascha Keilholz – er kann also am besten einen Einblick geben, was in diesem Jahr geboten wird, wo die Besonderheiten liegen und was besonders sehenswert ist.
Delta im Quadrat: Sascha, du hast die Leitung des IFFMH 2019 übernommen. Wie hat sich das Festival seither weiterentwickelt und was ist deine Festival-Vision?
Sascha Keilholz: Wir haben einen Neustart gewagt, dem IFFMH eine klare Sektionsstruktur mit dotierten Preisen verliehen, eine neue Webseite, ein neues Design. Das IFFMH hat jetzt einen Look, der – erfreulicherweise! – mit dem German Brand Award ausgezeichnet wurde und auch beim Publikum super ankam. Das Programm ist deutlich diverser und progressiver als zuvor, das wird sowohl vom Publikum vor Ort als auch von der überregionalen und internationalen Presse honoriert. Insofern machen wir große Fortschritte, unsere Vision, mit der wir vor vier Jahren gestartet sind, zum Leben zu erwecken und sichtbar zu machen. Wenn ich „wir“ sage, dann meine ich damit das neue Team. Da ist eine sehr inspirierte und inspirierende Zusammenarbeit, ganz viel Leidenschaft, Energie und Expertise! Teil unserer Vision ist das IFFMH als lebendiger Begegnungsort. Da wir zum einen neue Lounges mit einem vielfältigen Programm über die Filme hinaus haben und sich zum anderen neben Filmschaffenden aus der ganzen Welt viele Leute aus der Branche angekündigt haben, sehe ich uns auch da auf einem guten Weg.
DiQ: Kannst du uns einen Einblick in die Arbeit deines Programmteams geben? Wie entsteht ein solches Festival?
SK: Unser Auswahlprozess dauert neun Monate lang – wir gehen also sprichwörtlich „mit dem Programm schwanger“. Im Januar startet in Sundance gewissermaßen die Festivalsaison, gefolgt von Rotterdam und dem großen Branchentreffen auf der Berlinale inklusive dem European Film Market. Da sichten wir die ersten fertigen Filme, informieren uns aber auch über den Status möglicher Titel im Herbst. Weitere wichtige Orte und Termine im Kalender sind Cannes, Locarno, Venedig, Toronto und San Sebastián. Unsere ProgrammerInnen teilen sich gewissermaßen auf und bringen Tipps von den einzelnen Festivals und Märkten mit. Zudem haben wir die klassischen Einreichungen. Insgesamt haben wir über 1000 Filme pro Jahr auf dem Radar.
DiQ: Wie schafft ihr es, bei der Menge eine fundierte Auswahl zu treffen?
SK: Bei der Auswahl geht es immer um die Qualität und Vision jedes einzelnen Films, aber auch um das Gesamtprogramm: Repräsentiert es das jeweilige Jahr, ist es divers genug hinsichtlich Genres und Formaten, ästhetisch und inhaltlich, deckt es geografisch und soziologisch genügend unterschiedliche Lebensrealitäten ab? Und wie sprechen die Filme mit- und zueinander? Lassen sich Brücken zwischen ihnen bauen? Wenn wir uns im Team auf einen Film festgelegt haben, prüfen wir die Verfügbarkeit. Bei so exklusiven Titeln gibt es ein zähes Ringen um die Deutschlandpremieren. Nach der Bestätigung gehen die Gästeanfragen raus und dann bauen wir einen Timetable und bestimmen die Spielorte.
DiQ: Auf welche Gäste darf sich das Publikum freuen?
SK: Zur Eröffnung reist Jack Huston aus Hollywood an. Am nächsten Tag darf er gleich noch „Misfits“, den Klassiker seines Großvaters John Huston, mit Marilyn Monroe, vorstellen. Apropos Hollywood: Antje Traue, die sich als Deutsche dort durchgesetzt hat, wird zusammen mit Lars Eidinger bei uns über ihre Schauspielphilosophie sprechen. Als Ehrengäste erwarten wir Kultregisseur Nicolas Winding Refn („Drive“ mit Ryan Gosling) sowie Agnès Godard, eine der wichtigsten europäischen Kamerafrauen. Und Vorjahressieger Goran Stolevski aus Australien wird diesmal nicht nur Teil unserer Internationalen Jury sein, sondern auch gleich zwei neue Filme präsentieren!
DiQ: Welche Filme haben es Dir dieses Jahr besonders angetan?
SK: 2023 bedeutet für mich neben anderem so etwas wie die Rückkehr des unabhängigen amerikanischen Kinos. Das manifestiert sich beispielsweise in unserem Eröffnungsfilm „Day of the fight“, dem Regiedebüt des Schauspielstars Jack Huston. Ein fulminanter Film mit stimmungsvollem Score, beeindruckenden Schwarzweiß-Kompositionen und einem herausragenden Cast, allen voran Hauptdarsteller Michael Pitt. Der schlägt dann auch die Brücke zu unserer Retro „Method Acting“. Unser Centre Piece, die britisch-amerikanische Koproduktion „All of Us strangers“, ist in unseren Augen einer der stärksten Filme der Dekade. Der wird noch für Furore sorgen – bei den Oscars und weit darüber hinaus!
DiQ: Du sprachst vorher von „divers und progressiv“. In welcher Form sind diese Schlagworte auf dem IFFMH vertreten?
SK: Es gibt eine Reihe aufwühlender, auf verschiedenen Ebenen feministischer Filme. Da reicht die Palette von „Un Amor“ der spanischen Regieikone Isabel Coixet über Iris Kaltenbäcks „Le Ravissement“ bis hin zu Sofia Coppolas neuestem Geniestreich „Priscilla“. Das queere Kino ist in diesem Jahr außerdem besonders stark und abwechslungsreich.
DiQ: Was kannst du uns sonst noch über die diesjährige Ausgabe des Festivals verraten?
SK: Wir zeigen diesmal Werke aus 50 Ländern. Neben dem Filmprogramm wird es Masterclasses, Performances, Partys, Panels, Ausstellungen, Installationen und ein Konzert mit Kelman Duran geben. Das entspricht genau dieser Vorstellung eines lebendigen Begegnungsraums. Es werden also in jeder Hinsicht ereignisreiche elf Tage!