Leben im Delta
Die Kultur – eine Corona-Risikogruppe
Das Coronavirus ist schon etwas Besonderes: Es befällt nicht nur Lebewesen, sondern schädigt auch das kulturelle Leben. Man kann es nicht mit bloßem Auge sehen; sichtbar werden erst die Folgen. Und früher oder später auch spürbar! Die Kulturschaffenden merkten es schnell: Erst die Leere auf den Bühnen, in Museen, Bars und Clubs, und dann die Leere auf den Konten und in den Kassen. Ständige Ungewissheit, wie es weitergehen kann und wird. Planungssicherheit ist momentan nirgendwo zu haben. Statt an spannenden Programmen zu schmieden, sucht man nach Fördertöpfen und kreativen Lösungen, damit es irgendwie weitergeht – doch keiner weiß, wie lange. Die meisten für den Sommer geplanten Musik-Open-Airs sind abgesagt, die Freilichtbühnen bleiben unbespielt, die Schlossfestspiele Heidelberg finden nicht statt, der dramatisch abgespeckte Kultursommer in Ludwigshafen verzichtet u.a. aufs Internationale Straßentheaterfestival, der Seebühnenzauber im Mannheimer Luisenpark ist nahezu komplett ins kommende Jahr verlegt worden, die Nibelungenfestspiele in Worms vertagen ihre geplante Inszenierung „hildensaga. ein königinnendrama“ sogar auf 2022. Mit einer Auflistung aller Veranstaltungen, die ganz ausfallen oder in die (ungewisse) nähere oder fernere Zukunft verschoben wurden, könnten wir noch etliche Seiten füllen, aber es hilft ja nichts: Corona mitsamt den daraus resultierenden Einschränkungen ist Realität und wir alle müssen uns damit arrangieren.
In diesen Zeiten zeigt sich aber auch, dass die Kreativwirtschaft ihren Namen zu Recht trägt und in der Lage ist, wirklich kreative Lösungen auf die Beine zu stellen! Es ist viel im Fluss, in Planung und im Werden. Eine wichtige Rolle spielt hier das Internet: Vieles, was früher live zu erleben war, kommt nun per Stream oder Video direkt ins heimische Wohnzimmer, manchmal sogar noch ergänzt durch besondere Formate wie interaktive Angebote, Zusatzinfos zum Nachlesen oder Podcasts von hinter den Kulissen. Zum Beispiel in Schwetzingen: Das Theater am Puls verlängert sein „streaming for kids“ und zeigt noch bis Mitte August Kinderstücke – ab Sonntag immer eine Woche lang. Märchen wie Schneewittchen, Rapunzel und die Bienenkönigin wechseln sich ab mit Stücken der KiTZ Theaterkumpanei; Pinguine, Schweine, ein Sultan, ein Kotzbrocken (ja wirklich!) und ein bekannter kleiner Prinz sind hier die Protagonisten.
Mit „United We Stream“ hat sich ein digitaler Live-Club in der Metropolregion Rhein-Neckar gegründet, der DJ-Sets, Livemusik, Performances, Gesprächsrunden, Vorträge und Filme aus der Szene überträgt, Angebote bündelt und zugleich auch als Support-Plattform für Clubs dient (mrn.unitedwestream.org). Unterstützend will auch die Kampagne #behaltdeinticket wirken: Wenn Fans die bereits gekauften Karten für verschobene Konzerte, Shows und Veranstaltungen nämlich behalten, anstatt sie zurückzugeben, zeigen sie damit Solidarität mit den Kunstschaffenden, sichern die Zukunft der Live-Kultur und bewahren sich gleichzeitig die Vorfreude auf den neuen Konzerttermin.
Bei Redaktionsschluss noch in Verhandlung waren die Organisatoren einiger spontan ersonnener Projekte: So soll die Seebühne im Luisenpark, die lauschige Open-Air-Spielstätte am Kutzerweiher, den Sommer über nun doch nicht ganz verwaist bleiben, denn die Mannheimer Kulturmacher Peter Baltruschat und Thorsten Riehle planen gemeinsam mit dem Luisenpark für die Wochenenden vom 16. Juli bis 12. September ein Abendprogramm mit Musik, Tanz, Kabarett und Comedy – was genau sich dahinter verbirgt, erfährt man in den nächsten Wochen. Der Heidelberger Karlstorbahnhof entwirft eine Sommerbühne auf dem Montpellierplatz, das Theater und Orchester Heidelberg bringt mit seinem Truck Konzerte, Schauspiel und Tanz in die Stadt, und auch die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz spielt in ganz kleiner Besetzung dort, wo man die Kultur vermisst. „Rent an Artist“ nennt sich die Aktion des Kulturbüros Ludwigshafen, die KünstlerInnen für Auftritte im heimischen Garten, bei Pflegeheimen oder sozialen Einrichtungen vermittelt; mit an Bord sind hier z.B. Erwin Ditzner, Sebastian Hochwarth mit Gitarre und Gesang, Frank Schilling alias Gafraschilli mit seinen Zaubershows, Tayfun Ates mit einem Musik-Set aus Hang Drum, orientalischen Percussioninstrumenten und Electrogroove-Pad, der Indie-Rocker und Songwriter Gringo Mayer oder der Jazz-Saxophonist Olaf Schönborn. Klein und spontan sind auch die „Balkonkonzerte“ an wechselnden Orten in der Stadt – am Rheinufer spielten im Juni z.B. Claus Boesser-Ferrari und Olaf Schönborn, in der Bayreutherstraße „Elsa und der Viertelton“, und in den Hohenzollernhöfen der Akkordeonist Laurent Leroi. Die Konzerte werden immer nur kurzfristig angekündigt und sind corona-bedingt nur für die Nachbarschaft, Infos gibt’s unter www.kulturrheinneckar.de/fuer-die-kunst im Netz.
Durch das Gebot des Abstandhaltens hat eine Kulturform, die gewissermaßen schon vom Aussterben bedroht war, einen enormen Aufschwung erfahren: das Autokino. Denn wo jeder mit dem eigenen Wagen vorfährt und seine „private Loge“ nicht verlässt, ist die Ansteckungsgefahr minimiert, der Spaßfaktor jedoch nicht! So wird der Heidelgarden zum Cinegarden, in Mannheim unterhält das CARStival auf dem Maimarktgelände, Worms lädt zum „Drive-in Festival“ auf der CARantena-Arena, das Technik Museum Speyer zeigt Filme, aber auch Comedy und Artverwandtes mit Blick auf Jumbo Jet und Seenotrettungskreuzer, die Festwiese im Eremitagegarten von Waghäusel verwandelt sich bis Anfang August in eine Bühne für Kino, Konzert und Kindertheater, und der Frankenthaler Festplatz unterhält mit Live-Shows, Sneak Previews, Fußball und Comedy, u.a. mit Chako Habekost und Bülent Ceylan. Apropos Kino: Das Festival des deutschen Films in Ludwigshafen kann zwar im September nicht in gewohntem Format stattfinden, will aber neben der Online-Ausgabe „Dahääm/At Home“ auch ein Freiluftkino ans Rheinufer setzen. Die beiden angedachten Open-Air-Kinos werden auf der Parkinsel ohne feste Wände gebaut und sind damit optimal durchlüftet. Regenwetter kann den Kinogängern trotzdem nicht viel anhaben, denn ein Großteil der Sitzplätze wird – wenn auch in luftiger Höhe von acht Metern – überdacht sein. Und auch im Mannheimer Cinema Quadrat ist ein „Sommerkino Open Air“ geplant: Die Kinovorführungen werden an den Sommer-Wochenenden ins Freie verlegt, in den Innenhof des Kinos nämlich. Um bei Regen ausgefallene Vorstellungen kurzfristig wiederholen zu können, wird das Filmprogramm im Zwei-Wochen-Rhythmus angekündigt. Weil aber momentan nicht nur das Wetter unberechenbar ist, sondern auch die Gesamtlage, schließen wir mit dem allgegenwärtigen Hinweis, dass vor jedem Veranstaltungsbesuch noch einmal überprüft werden sollte, ob das Event wie geplant stattfindet und welche Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden müssen. Mundschutz einstecken haben, bei Bedarf vorab anmelden, weil die Plätze limitiert sind, Tickets im Vorverkauf buchen und stets gut informiert sein – das schützt nicht nur einen selbst, sondern langfristig gedacht auch die gesamte Kultur vor dem Coronavirus!