Leben im Delta
Ditzner’s Kino Roulette
Roulette gibt es in den verschiedensten Versionen: europäisches und amerikanisches, natürlich russisches – und „Ditzner’s Kino Roulette“. Diese Spielart ist ein echtes Ludwigshafener Original, und was sich dahinter verbirgt, erzählen uns der Schlagzeuger Erwin Ditzner und die Kuratorin der Reihe, die Filmwissenschaftlerin Dr. Morticia Zschiesche, im Interview.
Delta im Quadrat, Tim Fischer: Können Sie uns das Konzept von „Ditzner’s Kino Roulette“ erläutern? Wie lässt es die Filmkultur der 1920er Jahre wieder aufleben?
Erwin Ditzner: Im Prinzip geht es uns darum, herausragende Stummfilme, die vor mehr als 100 Jahren glanzvolle Premieren mit live orchestrierter Musik feierten, durch zeitgenössische und im Moment improvisierte Musik zu neuem Leben zu erwecken. Wir wollen keine festen Skripte vorher erstellen, nach denen wir unsere Musik spielen, sondern in der Improvisation, im Moment möglichst nah und direkt den Film vertonen. Daraus baut sich ein Spannungsfeld auf, was erstaunlicherweise eine vollkommen neue Perspektive auf den jeweiligen Film entstehen lässt. Mir ist es auch wichtig den Abend als Duo zu gestalten, weil man zu zweit naturgemäß die direkteste Art des Zusammenspiels provoziert. Die Klangkulisse bleibt klar und man kann den Output des oder der Einzelnen viel stärker erleben. Meine jeweiligen Gäste wähle ich nach dem Genre der Filme aus. Sehr oft mit dabei ist Paata Demurishvili am Piano, mit dem ich auch die Reihe schon vor Jahren begonnen habe, aber ich werde auch weiterhin immer wieder andere Gäste einladen.
Morticia Zschiesche: Und es ist eine Einladung nach Ludwigshafen, um in einer Stadt, die leider kein eigenes Kino mehr hat, trotzdem das reiche Film-Erbe neu zu erleben.
DiQ: Welche Rolle spielt die Live-Musik bei diesen Veranstaltungen?
ED: Die auf der Bühne, direkt vor der Leinwand sitzenden Musikerinnen und Musiker improvisieren und spielen wie bei einem Konzert zu den Bildern, die sie sehen. Das kommt direkt und unmittelbar beim Publikum an. Es kann miterleben, wie die Musikerinnen und Musiker auf die Filme reagieren und sich gegenseitig animieren und katalysieren, bewegte Bilder in Musik umzusetzen. Das ist sehr spannend! Vor allem für Kenner der Stummfilme ist es ein großes Abenteuer, die bereits bekannten Filme in einem vollkommen neuen musikalischen Gewand zu sehen.
DiQ: Wie wählen Sie die gezeigten Filme aus und welche Kriterien sind dabei entscheidend?
ED: Die Auswahl übernimmt mit großer Sorgfalt und großem Wissen Morticia Zschiesche, und die Frage gebe ich deswegen an sie weiter…
MZ: Wir wollen internationale Stummfilme auf die Leinwand bringen, die auch nach einem Jahrhundert nichts an ihrer Faszination verloren haben und durch ihre künstlerischen Innovationen stilprägend für das damals noch junge Medium Film waren – und das über den üblichen Filmkanon hinaus und jedes Mal mit einer Filmeinführung, die einige der Tricks verrät. Es ist eine aufregende Entdeckungsreise vom Expressionismus bis hin zur Neuen Sachlichkeit, von der Komödie über das Melodram bis hin zum Horrorfilm. So wird es beim nächsten „Kino Roulette“ am 28. Februar ein Wiedersehen mit der jungen Marlene Dietrich in einem ihrer besten Stummfilme geben: „Die Frau, nach der man sich sehnt“ von Kurt Bernhardt, der 1929 Marlene in diesem frühen Film Noir bereits hochästhetisch als Femme Fatale in Szene setzte, also bereits ein Jahr, bevor sie durch Josef von Sternbergs „Der blaue Engel“ ihren internationalen Durchbruch schaffte.
DiQ: Welche Resonanz erhalten Sie vom Publikum auf die Kombination aus Stummfilm und Live-Musik?
ED: Applaus! (lacht) Wir bekommen immer wieder sehr positives Feedback nach dem Konzert in der Richtung, dass viele Menschen es nicht glauben können, dass wir uns den Film vorher praktisch nicht angesehen haben und ohne Skript etwa 90 Minuten lang jede filmische Szene aus dem Moment heraus kommentieren. Das ist für viele nicht zu fassen. Für das Publikum ist es daher gerade bei regelmäßigem Besuch unserer Reihe immer wieder aufregend zu beobachten, wie der jeweilige Abend und Film verläuft.
MZ: Als wir letztens Buster Keatons Komödien „Sherlock Jn.“ und „The Electric House“ gezeigt haben, bedankte sich eine Frau bei uns für 90 Minuten gemeinsames Lachen und Glücksgefühl – etwas, was wir alle in diesem Zeiten gut brauchen können…
DiQ: Gibt es Pläne, das „Kino Roulette“ in Zukunft weiterzuentwickeln oder neue Elemente einzubringen?
ED: Wir wollen in Zukunft die geplanten „Kino Roulette“-Termine auch zu Abenden des Zusammenseins und des gemeinsamen Gesprächs werden lassen. Gerade beim letzten Mal entstand direkt nach dem Film eine ganz tolle, lockere Atmosphäre an der Bar, wo das Publikum sehr angeregt über das Erlebte diskutiert hat und auch Fragen im gemeinsamen Gespräch beantwortet werden konnten.
MZ: In den letzten Jahren hat sich beim „Kino Roulette“ eine richtige Community gebildet, die wir jetzt einladen, auch nach dem Konzert über Jazz und Film bei einem guten Glas Wein und leckeren Snacks ins Gespräch zu kommen. Und dann vor Ort oder über die Homepage www.dashaus-lu.de eine Mitfahrgemeinschaft zu bilden. Dafür danken wir dem Team vom Kulturzentrum dasHaus, das nun seine gemütliche Bar viel länger als üblich öffnen wird, damit wir hier gemeinsam den Abend ausklingen lassen können.
(Foto Morticia Zschiesche © Alexander Pawlak/chilterngreen.de)