Leben im Delta
Mobilität – Beweglichkeit bei pfitzenmeier
Delta im Quadrat: Hallo Nicole, was bedeutet Mobilität genau?
Nicole Brunner: Mobilität, also Beweglichkeit, ist in der allgemeinen Definition die Fähigkeit, Bewegungen willkürlich und gezielt mit der erforderlichen bzw. optimalen Schwingungsweite der beteiligten Gelenke ausführen zu können. Unsere verschiedenen Gelenke im Körper haben diverse Bewegungsrichtungen, Bewegungsebenen und Bewegungsradien, für die sie ausgelegt sind und die insgesamt die Bewegungsamplitude eines Gelenks darstellen. Diese mögliche Bewegungsamplitude wird allerdings von den gelenkumgebenden Muskeln, Sehnen und Bändern beeinflusst, die das jeweilige Gelenk in der Bewegung stabilisieren. Die tatsächliche Mobilität eines Gelenkes ist also von der Anatomie und der Dehnfähigkeit eines Menschen abhängig, und die wiederum kann durch personenspezifische und äußere Faktoren manipuliert werden. Aus sportmedizinischer und sportwissenschaftlicher Sicht ist ein Gelenk nur dann optimal funktions- und leistungsfähig, wenn am betreffenden Muskel ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Fähigkeit zur Kontraktion und zur Entspannung besteht und die Funktionsfähigkeit der bindegewebigen Strukturen, also der Sehnen, Bänder oder Faszien, optimal ausgeprägt ist. Andernfalls kann es zu Haltungsfehlern, Muskeldysbalancen, Verspannungen etc. kommen.
DiQ: Wie ist ein Mobilitätstraining aufgebaut?
NB: DAS Mobilitätstraining – so einfach ist es leider nicht. Beweglichkeitstraining sollte unbedingt aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Zur Auswahl stehen dynamisches Mobilisieren der Gelenke, dynamisches/statisches Dehnen und nicht zu vergessen das Krafttraining, welches unbedingt unter der individuell möglichen vollen Bewegungsamplitude ausgeführt werden sollte. Alle Varianten haben ihren Sinn – doch welche ist die beste Wahl? Mein ganz klares Statement dazu ist, dass die beste Wahl eine Kombination aus allem ist. Unser Körper ist sehr komplex und genauso allseitig sollte ein ausgewogenes Training aussehen. Natürlich gilt es hier zu unterscheiden zwischen Otto Normalverbraucher und einem Leistungssportler. Bleiben wir aber bei Otto – er sollte wirklich alle Varianten in sein Training einbauen, um möglichst effektiv an seiner Beweglichkeit zu arbeiten und um die natürliche Funktionen unseres Körpers beizubehalten. Hierzu bietet es sich an, das Warm-up mit einen dynamischen Mobilisieren des Gelenksystems einzuleiten, ein Krafttraining in den vollen Bewegungsamplituden auszuführen und sich dann unabhängig vom Krafttraining an einem trainingsfreien Tag der Dehnung zu widmen. Am Ende des Tages muss jedoch jeder Mensch selbst entdecken, welche Vorgehensweise für ihn passt.
DiQ: Warum sollte jeder regelmäßig etwas für seine Mobilität machen?
NB: Es liegt ganz klar auf der Hand, dass wir Menschen im Laufe der Zeit deutlich bequemer wurden. Wir müssen unser Essen nicht mehr zwingend jagen gehen, sitzen sehr viel, steigen auf Leitern, um ganz oben ans Regal zu kommen oder haben Greifzangen, damit wir uns nicht bücken müssen. Wir müssen unser von der Natur erschaffenes Gelenksystem ja kaum noch dafür nutzen, wofür es einst erschaffen wurde. Es wäre super schade, wenn wir dieses Geschenk verkommen lassen, da uns die Unbeweglichkeit im Alltag einfach mehr und mehr einschränkt. Wenn man dann noch an die Problemchen denkt, die diese Immobilität mit sich bringt, dann gibt es quasi keinen Weg um dieses Thema herum. Sind wir unbeweglich, passt sich der Körper in Form von antrainierten Fehlhaltungen an. Das löst unmittelbar eine Kettenreaktion aus, denn diese Fehlhaltungen können zu Verspannungen und Schmerzen führen sowie zu einer Unterversorgung der jeweiligen Gelenkstrukturen und Muskeln, zu deren Abbau, zum Abbau von Gehirnzellen und zu chronischen Erkrankungen. Je beweglicher wir sind, desto freier und fitter fühlen wir uns und desto mehr Platz haben unsere Organe, da alles im Lot ist und der Körper funktionieren kann, wie er es eben sollte.
DiQ: Worin besteht der Zusammenhang zwischen Beweglichkeit und Gehirn?
NB: Das Gehirn leitet alles an, was in unserem Körper passiert, also ist es auch für unsere Mobilität zuständig, denn die Bewegungsabläufe, die Muskelkontraktionen erfordern, sind koordinative Abläufe, die von unserem Zentralen Nervensystem gesteuert werden. Wie wir wissen, macht der Körper allerdings manchmal nur das, was er will bzw. das, was unser Gehirn ansteuert, aber nicht das, was wir eigentlich wollen – und das ist auch absolut gut so! Denn wenn unser Gehirn eine Gefahr wahrnimmt, dann leitet es direkt einen Schutzmechanismus ein, was unter anderem unsere Beweglichkeit und Muskelkontraktionen einschränken kann. Je älter und bedachter wir werden, desto mehr Gefahren erkennt das Gehirn und desto eingeschränkter werden wir in unserer Beweglichkeit. Wenn wir dem nicht entgegenwirken durch regelmäßiges Training, kann dieser Teil des Hirns verkümmern und unter anderem zu neurologischen Erkrankungen wie Alzheimer führen. Also auch um neurologischen Erkrankungen entgegenzuwirken kann ein Mobilitätstraining sehr hilfreich sein, dazu muss es nicht nur Denksport geben.
DiQ: Ist das Training für jedermann geeignet? Und wie intensiv muss man trainieren, um Effekte zu erzielen?
NB: Beweglichkeitstraining ist definitiv für jedermann geeignet und es ist auch niemals zu spät dafür! Ich betreue zum Beispiel unter anderem eine reifere Gruppe ab 75, die sogar ausschließlich sitzend trainieren kann. Es ist einfach nur wichtig, das Training den jeweiligen Umständen angepasst ganz individuell zu steuern. Mobilitätstraining ist ein wichtiges Fundament, auf dem alles weitere aufbaut. Es kann regelmäßig und mehrmals die Woche durchgeführt werden. Bei Beginnern würde ich mehrere kurze Einheiten empfehlen, um das System nicht zu überlasten; bei Fortgeschrittenen können auch längere Einheiten eingeplant werden. Außerdem sollten Fortgeschrittene das Fundament festigen, indem sie Krafttrainingseinheiten einbauen, bei denen der Gelenkapparat in der vollen Bewegungsamplitude gefestigt und gestärkt wird.